In welchem Umfang Medien über Fehlverhalten von Unternehmen berichten hängt auch von ihren eigenen Interessen ab. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie, für die mehr als 1.000 Vorfälle untersucht wurden. Die Unabhängigkeit der Medien erscheint darin in einem fragwürdigen Licht.
Unter dem Begriff „Corporate Social Irresponsibility“ fassen die Autoren der Studie Dr. Marc Fischer, Professor für Marketing an der Universität zu Köln, und Dr. Samuel Stäbler, Assistant Professor of Marketing an der Tilburg University (Niederlande) Fälle unternehmerischen Fehlverhaltens zusammen. Gemeint sind Verstöße gegen Umweltauflagen, Korruption oder die Verletzung von Sozialstandards, beispielsweise in der Lieferkette. Die Ergebnisse der Studie “When Does Corporate Social Irresponsibility Become News? Evidence from More than 1,000 Brand Transgressions Across Five Countries“, sind nun in der Mai-Ausgabe des Journal of Marketing veröffentlicht worden.
Unternehmerisches Fehlverhalten hat einen hohen Nachrichtenwert
Unternehmerisches Fehlverhalten hätten für die Medien oftmals einen hohen Nachrichtenwert und würde entsprechend oft in die Berichterstattung einfließen. Mit durchaus erheblichen finanziellen Folgen sowohl für die betroffenen Unternehmen als auch für die Aktionäre. 1.054 solcher CSI-Ereignisse in 77 führenden Medien aus fünf Ländern (USA, Mexiko, Deutschland, Großbritannien und Frankreich) haben Stäbler und Fischer untersucht. Sie wollten herausfinden, wann kritisch über unternehmerisches Fehlverhalten berichtet wird – und wann nicht. Dafür lasen, kodierten und bewerteten sie über 50.000 Artikel.
„Medien sind neben Politikern, die manchmal opportunistisch handeln, vermutlich die Akteure, die mit viel Druck die höchsten Wertestandards und sozialen Normen bei öffentlichen Personen und Unternehmen einfordern.“
Professor Dr. Marc Fischer, Lehrstuhl für Marketing und Marktforschung der Universität Köln
Die Ergebnisse sind brisant, denn das Ausmaß der Berichterstattung ist laut den Autoren keineswegs unbeeinflussbar. „Die Studienergebnisse lassen Aussagen zur selbst gepriesenen Unabhängigkeit diskussionswürdig erscheinen“, so Marc Fischer. So würden die untersuchten Medien zwar häufig über ethische Vergehen von beliebten Unternehmen mit bekannten Marken berichten, ebenso wie über das Fehlverhalten ausländischer Unternehmen, wenn allerdings lukrative Werbepartnerschaften mit den betroffenen Unternehmen bestehen, nimmt die Berichterstattung signifikant ab. Auf unter 10 Prozent sei die Berichterstattung in einigen der untersuchten Fälle gesunken.
Fischer: „Erstaunlich ist auch, um wie viel häufiger über das Fehlverhalten ausländischer Unternehmen berichtet wird, während inländische Unternehmen im Vergleich dazu seltener Gegenstand der Berichterstattung sind.“ Sind ausländische Unternehmen im eigenen Land betroffen, so würde sich die Berichterstattung durchschnittlich verdoppeln. Zudem berichten linksorientierte Medien laut den Autoren der Studie häufiger als rechtsorientierte Medien. Dieser Unterschied nimmt jedoch mit den Gesamtwerbeausgaben einer Marke ab.
Medien ist der Effekt nicht bewußt
Interessant ist, dass die Medien sich dieser Verzerrung scheinbar nicht bewusst sind. Fischer und Stäbler haben Interviews mit leitenden Redakteuren der taz, der Rheinischen Post und der Bild Zeitung geführt, die ihre Beobachtungen bestätigten. Allerdings wiesen die Redakteure den Werbeinnahmen und der politischen Ausrichtung der Zeitung keine Rolle bei der Nachrichtenauswahl zu. Die statistischen Ergebnisse der Kölner Studie, die auf der Auswertung der tatsächlichen Berichterstattung zu unternehmerischem Fehlverhalten beruhen, zeigen jedoch das Gegenteil.
Eine kritische Berichterstattung hat zudem auch wirtschaftliche Folgen. Der durchschnittliche finanzielle Verlust an der US-Börse aufgrund eines CSI-Ereignisses beläuft sich laut der Studie auf rund 321 Millionen US-Dollar. Das Ausmaß des Schadens, den ein CSI-Ereignis einem Unternehmen zufügt, hängt dabei stark davon ab, wie viel Medienaufmerksamkeit das Ereignis erhält. So reagierte etwa der Markt nur dann auf die CSI-Fälle, wenn vier oder mehr US-Medien darüber berichteten. Bei sehr bekannten Marken kann sich der Verlust sogar um rund 200 Millionen US-Dollar nochmal deutlich erhöhen.
Vorhersage der Berichterstattung kaum möglich
Fischer: „Medien sind neben Politikern, die manchmal opportunistisch handeln, vermutlich die Akteure, die mit viel Druck die höchsten Wertestandards und sozialen Normen bei öffentlichen Personen und Unternehmen einfordern. Die Ergebnisse unserer unabhängigen Studie zur Berichterstattung über ethisches Fehlverhalten von Unternehmen zeigen: Die von den Medien eingeforderten hohen Maßstäbe werden beim eigenen Verhalten offensichtlich nicht immer eingehalten.“
Das Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen, wie Nachrichtenmedien Ereignisse auswählen, ist laut Fischer und Stäbler für Unternehmen demnach spannend, um schlechte Presse zu prognostizieren und geeignete Instrumente für vorbeugendes Handeln zu finden. Zwar würden Manager oftmals über Erfahrungen aus der realen Welt verfügen, die auf die genannten Unterschiede in der Berichterstattung hindeuten, dennoch sei es sehr schwierig vorherzusagen, wann ein negatives Ereignis erschöpfend in den Medien behandelt wird. Fischer und Stäbler raten Unternehmen, im Falle einer möglichen Berichterstattung über ein CSI-Ereignis, andere neutrale oder positive Nachrichten zu lancieren. Diese hätten die Macht negative Nachrichten über ein CSI-Ereignis zu verdrängen.