Mehr Fahrräder für den Klimaschutz

In Deutschland kommt auf fast jeden Einwohner ein Fahrrad. Dennoch sind die Emissionen im Straßenverkehr zu hoch. Zur Klimakonferenz COP26 fordert die Branche nun mehr Fahrräder und verpflichtet sich zu mehr Klimaschutz.

Für die Fahrradindustrie könnte es momentan kaum besser laufen. Allen Lieferengpässen zum Trotz nimmt die Anzahl der verkauften Einheiten jährlich zu. Im Corona-Jahr 2020 wurden in Europa mehr als 22 Millionen E-Bikes und Fahrräder verkauft. Ein Ende scheint nicht in Sicht, doch zur Klimakonferenz COP26 fordert die Branche noch mehr Fahrräder und verpflichtet sich zu mehr Klimaschutz.

Hoher CO2-Ausstoß im Verkehrssektor

Das Ziel Klimaneutralität ist klar definiert, der Weg dahin noch nicht. Der Verkehrssektor hat insgesamt einen hohen Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen, in der EU sind es etwa 30 Prozent. Davon entfallen 72 Prozent auf den Straßenverkehr, hauptsächlich auf Pkw, die knapp zwei Drittel der Emissionen verursachen. Die will die EU drastisch senken, und zwar um 60 Prozent gegenüber dem Stand von 1990. Mit welchen Maßnahmen die Emissionen im Verkehr gesenkt werden können, ist in diesen Tagen auch Diskussionsthema auf der Klimakonferenz COP26 in Glasgow.

Fahrrad ist wichtiger als E-Mobilität

Der europäische Branchenverband European Cyclists‘ Federation (ECF) und der Fahrradklub ADFC haben konkrete Vorstellungen, welchen Beitrag das Fahrrad leisten kann, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. In einem offenen Brief an die Konferenzteilnehmer und Regierungschefs kritisieren sie den Fokus auf die Elektrifizierung von Kraftfahrzeugen als entscheidende Lösung für den Verkehrssektor. Demnach sei das Fahrrad zehnmal wichtiger für die Erreichung der Klimaziele als die Umstellung der Fahrzeugflotten auf elektrische Antriebe. Dabei beziehen sie sich auf eine Studie der Universität Oxford, die Alternativen zum Auto wie beispielsweise das Fahrrad als viel entscheidender Ansehen. Der Fokus auf E-Autos könnte die Entwicklung hin zum emissionsfreien Verkehr eher verlangsamen, so die Forscher. Selbst wenn das Fahrrad nur teilweise das Auto ersetzen würde, so wäre der Vorteil vom Umstieg aufs Fahrrad ungleich größer als die andauernde Nutzung eines Elektrofahrzeugs.

Schon gelegentliche Radfahrten reduzieren die Emissionen

Für die Studie haben die Forscher das Mobilitätsverhalten von rund 4.000 Menschen in London, Antwerpen, Barcelona, Wien, Orebro, Rom und Zürich über einen Zeitraum von zwei Jahren beobachtet. Für jede Fahrt, egal ob mit dem Auto, dem Bus oder dem Fahrrad wurde der den Carbon Footprint berechnet. Die Probanden, die täglich mit dem Fahrrad fuhren verursachten 84 Prozent weniger CO2-Emissionen als der Rest. Viel interessanter ist aber die Tatsache, dass die Personen, die ihr Auto einmal wöchentlich mit dem Fahrrad tauschten, ihren Footprint um 3,2 kg CO2 reduzierten. Das entspricht etwa einer 10 Kilometer langen Fahrt mit dem Auto.

Radfahren ist zehnmal wichtiger als Elektroautos

Studie der Universität Oxford: „The climate change mitigation effects of daily active travel in cities“

Betrachtet man den gesamten Lebenszyklus des Fortbewegungsmittels, also nicht nur die Nutzung, sondern auch die Herstellung, schneidet ebenfalls das Fahrrad besser ab. So sind die Emissionen gegenüber einem Auto mit Verbrennungsmotor rund 30-mal niedriger, gegenüber einem E-Auto immer noch zehnmal niedriger. Eine Erkenntnis, die inzwischen auch in der Politik auf fruchtbaren Boden gestoßen ist. Im Abschlussbericht der Expertenkommission „Nationale Plattform Zukunft der Mobilität“ wurde eine Verdreifachung der Radverkehrsinfrastruktur als notwendige Maßnahme zur Erreichung der Klimaziele betont.

Offener Brief fordert zum Handeln auf

Genau an diesem Punkt setzten auch Fahrradverbände an. In ihrem offenen Brief fordern sie mehr Fahrräder. Das klingt nach Eigennutz, hat aber auch eine klare klimapolitische Bewandtnis. Der ECF stützt sich dabei auf den Sonderbericht des Weltklimarats (IPCC) „Globale Erwärmung von 1,5 °C“, der Radfahren als einen Weg identifiziert hat, um die Klimaziel zu erreichen.

Damit mehr Menschen Zugang zu einem Fahrrad haben und zudem die Vorteile schätzen können, hat der ECF konkrete Vorschläge gemacht. „Die Welt braucht einen drastischen Anstieg des Radverkehrs, um den Klimawandel zu bekämpfen. Regierungen weltweit müssen dringend handeln und dafür die schon verfügbaren Technologien nutzen“, sagt ECF-Geschäftsführerin Jill Warren. „Es gibt keine Chance, die Emissionen im Verkehr schnell genug zu reduzieren, ohne eine erhebliche Steigerung des Radfahrens.“ Deshalb sollen sich die Staats- und Regierungschefs dazu verpflichten, das Fahrradfahren in ihren Ländern zu fördern.

Konkret enthält der offene Brief sechs Forderungen:

  1. Förderung des Radverkehrs in all seinen Formen. Dazu gehören Radtourismus, Radsport, Commuting und Bikesharing.
  2. Anerkennung des Radfahrens als Klimalösung. Das bedeutet, dass mit einer Zunahme des Radverkehrs der Autoverkehr abnehmen muss, damit die CO2-Emissionen reduziert werden können.
  3. Erstellung und Finanzierung nationaler Fahrradstrategien und Erhebung von Daten zum Radverkehr, um notwendige Verbesserungen in Infrastruktur und Nutzung vornehmen zu können.
  4. Konzentration von Investitionen auf den Aufbau einer sicheren und qualitativ hochwertigen Fahrradinfrastruktur.
  5. Direkte Anreize für Menschen und Unternehmen, damit immer mehr Menschen aufs Fahrrad umsteigen.
  6. Aufbau von Synergien mit dem öffentlichen Verkehr und Förderung kombinierter Mobilitätslösungen für ein multimodales Ökosystem, das in der Lage ist, alle Nutzerbedürfnisse abzudecken, ohne auf ein privates Auto angewiesen zu sein.

Bislang wurde der Brief von 117 Organisationen der Fahrradbranche unterzeichnet. Wie die Zukunft des Straßenverkehrs aussehen kann, darüber wird in Glasgow am 10. November diskutiert. Zwei Erklärungen liegen bereits vor, die sich beide mit der Emissionsminderung von Autos und Nutzfahrzeugen beschäftigen. Mit seinem offenen Brief will der ECF nun erreichen, dass sich die Verhandlungsführer auch mit dem Fahrrad beschäftigen. Jill Warren, CEO der ECF: „Die verheerenden Auswirkungen der globalen Erwärmung sollten jedem klar sein, und die Steigerung des Radverkehrsniveaus ist der beste Weg, um die Kohlenstoffemissionen aus dem Verkehr schnell und massiv zu reduzieren.“



Unternehmen der Fahrradindustrie unterzeichnen Klimaverpflichtung

Gleichzeitig haben sich auch führende Unternehmen der Fahrradindustrie zu Wort gemeldet und sich zur weiteren Reduktion klimaschädlicher Emissionen verpflichtet, deren Fortschritte sie auch dokumentieren wollen. Die Unternehmen gehören zur Cycling Culture Shift-Bewegung, die sich für eine nachhaltige Zukunft einsetzt und an Maßnahmen arbeitet, wie die Herstellung von Fahrrädern, Komponenten und Kleidung mit möglichst geringen Umweltauswirkungen gelingen kann. So wurde in diesem Jahr eine Kickstarter-Kampagne ins Leben gerufen, um den Film „Crackedd Earth“ zu finanzieren. Der Film setzt sich mit den Folgen des Klimawandels auf den Radsport auseinander. Dabei wird das Leben von verschiedenen Radfahrern (Profis und Hobby-Fahrer) gezeigt, die in Gegenden (z.B. Australien, Schweiz, Niederlande) trainieren, die schon heute stark vom Klimawandel beeinträchtigt sind.  

Emissionsreduzierung in der gesamten Lieferkette

An Cycling Culture Shift sind namhafte Fahrradhersteller wie Specialized, Riese & Müller und BMC beteiligt, aber auch Komponenten- und Reifenhersteller wie Schwalbe, Vittoria und Selle Royal, Händler wie ROSE Bikes und Bekleidungshersteller wie Rapha und Assos. Ein Teil der Mitglieder hat sich nun zu den verschärften Klimazielen verpflichtet. Dabei soll die gesamte Lieferkette der Unternehmen einbezogen werden, weil 50-80 Prozent der Emissionen in der Produktion entstehen. Bislang würde noch zu wenig Wert auf die Rückverfolgbarkeit der Produkte gelegt. Das soll sich zukünftig ändern, um die produktionsbedingten Emissionen zu reduzieren, Produkte herzustellen, die länger halten und ei Kreislaufsystem für einen effizienteren Rohstoffeinsatz zu entwickeln.

Konkret verpflichten sich die Unternehmen zu:

  1. Die CO2-Emissionen des eigenen Unternehmens offenlegen, in diesem sie die Scope 1 & 2 Treibhausgasemissionen (THG) gemäß dem THG-Protokoll bis spätestens 2023 erstmalig messen und diese Messung jährlich wiederholen.
  2. Die Pläne offenlegen, wie die Unternehmen ihre Treibhausgasemissionen um mindestens 55 % bis 2030 (gegenüber einem Basiswert von frühestens 2015) reduzieren wollen.

Man sei sich bewusst, dass dies nur ein Anfang sein kann, dem weitere Schritte folgen müssen. Um eine größtmögliche Wirksamkeit zu erreichen, fordern die CEOs der Unternehmen ihre Mitstreiter auf, sich der Klimaverpflichtung anzuschließen.  

Thomas Feldhaus: