Das Potenzial für ökologisch nachhaltiges Wirtschaften ist bei Autoherstellern und Zulieferern noch nicht ausgeschöpft. Neun von zehn Unternehmen haben hier Nachholbedarf, wie die aktuelle Studie „Green Transformation in der Automobilindustrie“ belegt.
Der Druck auf die deutsche Automobilindustrie nimmt von allen Seiten zu. Der Klimawandel und seine Auswirkungen sind Top-Themen der Branche. Laut Stimmungsbarometer Automotive 2020 von PwC sehen mehr als drei Viertel der Manager in ihm und seinen Folgen die größte Herausforderung in den kommenden Jahren. Vor allem, weil sie mit weiteren Regularien rechnen und mit zunehmendem Druck aus der Bevölkerung. Zwar haben die großen Hersteller den Transformationsprozess bereits eingeleitet, wo die Reise hingeht, ist aber weitestgehend offen.
Mit welcher Antriebstechnologie wird die mobile Zukunft gestaltet
Unter anderem weil noch lange nicht ausgemacht, mit welcher Antriebstechnologie die mobile Zukunft gestaltet wird. Den Fokus auf batteriebetriebene Elektromobilität halten die Manager der Automobilindustrie für nicht zielführend. Mehr als 80 Prozent wünschen sich sowohl von den Herstellern als auch von der Politik eine technologieoffenere Unterstützung der Elektromobilität. Besonders die Zulieferindustrie drängt auf ein stärkeres Vorantreiben der Brennstoffzellentechnologie. Allerdings erwarten zwei Drittel der Befragten, dass der Verbrennungsmotor den Transformationsprozess überstehen wird und nicht vollständig von den alternativen Konzepten verdrängt wird.
Und dann ist da ja auch noch der zunehmend stärker werdende Wettbewerb, der durch den Transformationsprozess noch dynamischer wird, vor allem durch die Entwicklungen auf dem chinesischen Markt. Hersteller spüren die Entwicklungen des chinesischen Marktes am stärksten: Rund zwei Drittel erwarten Umsatzauswirkungen von über 10 Prozent. Beteiligungen chinesischer Investoren werden hingegen eher als Gefahr denn als Chance für die deutsche Automobilbranche gesehen.
Bedeutung der Automobilindustrie für den wirtschaftlichen Wohlstand
Vor diesem Hintergrund hat sich die Unternehmensberatung Staufen in einer Umfrage unter 250 Unternehmen aus der deutschen Automobilindustrie mit deren grüner Transformation beschäftigt. Wie der Automobilindustrie der Wandel gelingt, wird skizzieren, wie die deutsche Industrie insgesamt eine grüne Transformation bewältigen kann.
Mit einem Umsatz rund 435 Milliarden Euro im Jahr 2019 ist die Automobilindustrie einer der bedeutendsten Wirtschaftszweige hierzulande. Immerhin bietet die Branche 833.000 Menschen einen Arbeitsplatz. Zusammen mit indirekten Beschäftigungseffekten sollen rund 2 Millionen Arbeitsplätze von der Automobilindustrie abhängig sein. In ganz Europa sollen es sogar 13,3 Millionen Arbeitsplätze sein, wie der europäische Herstellerverband Acea vorrechnet. Laut statistischem Bundesverband trägt die deutsche Automobilindustrie mit etwa 4,5 Prozent zum Bruttosozialprodukt bei.
Branche sieht sich als Vorreiter einer grünen Transformation
Die Bedeutung der Branche für den wirtschaftlichen Wohlstand in Deutschland ist unverkennbar. Strittig ist, wie sich die grüne Transformation auf die Branchenentwicklung auswirken wird. Vor allem deshalb, weil noch nicht absehbar ist, wie den Herstellern die Transformation gelingen wird. „Unsere Studie belegt, dass sowohl Automobilhersteller als auch Zulieferer großes Potenzial für die Optimierung ökologischer Maßnahmen haben“, sagt Thilo Greshake, Leiter des Bereichs Automotive bei Staufen. Dabei sieht sich die Branche selbst als Vorreiter beim Thema Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Mehr als die Hälfte der Befragten sieht ein starkes Engagement der Hersteller und Zulieferer auf dem Weg zu einer grünen Wirtschaft.
Doch hält diese Selbsteinschätzung einer Überprüfung kaum stand. Immerhin neun von zehn Unternehmen hätten beim Thema ökologisch nachhaltiges Wirtschaften deutlichen Nachholbedarf, so ein Ergebnis der Studie. Um die wichtigsten Stellhebel zu verdeutlichen, haben die Analysten von Staufen aus den Ergebnissen der Befragung zwei Green Indizes abgeleitet: den Green Awareness Index und den Green Maturity Index.
Green Indizes zeigen die tatsächliche Entwicklung
Der Green Awareness Index – dargestellt als Dezimalwert zwischen eins und vier – gibt an, inwieweit die einzelnen Unternehmen Nachhaltigkeit und Ökologie als Herausforderung für ihr Unternehmen erkannt haben und welche Faktoren die Umsetzung vorantreiben. Der Green Maturity Index beschreibt den Reifegrad der Nachhaltigkeitsmaßnahmen in den einzelnen Unternehmen. In die Berechnung eingeflossen sind Angaben zum Fortschritt der Umsetzung, der Tiefe der Durchdringung sowie der thematischen Breite.
Der aktuelle Green Awareness Index liegt bei 3,23 Punkten und zeigt damit: Nachhaltigkeit, Ökologie und Klimaschutz sind in der Autobranche angekommen. Es gibt nur noch wenige Unternehmen mit einer geringen Aufmerksamkeit für diese Themen. Dies führt jedoch nicht unbedingt zum raschen Handeln, denn der Green Maturity Index fällt mit 2,36 Punkten eher niedrig aus. Dabei zeigt sich auf Herstellerebene ein leicht höherer Reifegrad (2,70) als in der Supply Chain (2,02).
Den größten Treiber sehen die Befragten in der Politik und erst an zweiter Stelle die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen. Ein großes Hemmnis für mehr Nachhaltigkeit in der Automobilbranche ist die offenbar fehlende wirtschaftliche Rentabilität vieler ökologischer Maßnahmen. Gut drei Viertel der für die Studie befragten Unternehmen räumen ein, dass bei ihnen die kaufmännische Sicht den ökologischen Blick dominiert. Top-Thema der Nachhaltigkeit ist in den Unternehmen die Energieeinsparung, gefolgt von einer CO2-neutralen Energieversorgung.
Trotzdem legen sowohl Hersteller als auch deren Lieferanten Wert auf eine ökologisch ausgerichtete Supply Chain. Die OEMs empfinden sich hier als Vorreiter, mehr als 60 Prozent haben schon eine Nachhaltigkeitsbewertung als Vergabekriterium bei der Lieferantenauswahl festgelegt. Zum Vergleich: bei den Zulieferern gilt dies für ihre eigenen Lieferanten nur bei etwa 40 Prozent.
Die Zahlen bestätigen die Ergebnisse des Green Maturity Index: Die Hersteller stehen der Green Transformation offener gegenüber. Fast neun von zehn OEMs sehen sich hier stark engagiert, aber nur jeder zweite Zulieferer. Dies betrifft vor allem die tieferen Stufen der Supply Chain, Unterlieferanten ab „Tier 2“ haben hier klaren Nachholbedarf, heißt es in der Studie. Ihre Maßnahmen konzentrieren sich bislang auf betriebswirtschaftlich relevante Aspekte wie Einsparungen beim Energie- und Materialverbrauch.
Nachhaltigkeit darf keine höheren Kosten verursachen
„Bei dieser Abstufung von OEMs hinunter zu den tieferen Gliedern der Lieferkette zeigt sich deutlich der Einfluss der Endkunden“, betont Automobil-Experte Greshake. „Ein hoher Markenwert vergrößert die Anstrengungen für Nachhaltigkeit, da ökologische Fragen in Kaufentscheidungen einfließen. Doch die Hersteller können diesen Weg nur in Zusammenarbeit mit Zulieferern und deren Supply Chain gehen.“ Noch ist die Bereitschaft, für mehr Nachhaltigkeit höhere Kosten zu akzeptieren nur wenig ausgeprägt. Die Verbesserungspotenziale in der Zusammenarbeit werden vor allem in einer intelligenteren Logistik und einer gemeinsamen Verpackungsstrategie gesehen.